Die Prüfung der Belastbarkeit von Berichten, Wissenschaft, Aussagen und Reportagen
Die Seite Geschichtsvalidität beschäftigt sich mit dem Erkenntnisproblem im Alltag. Wie kann ist feststellen, ob eine Behauptung stimmt? Hier finden Sie Hinweise und ggf. Materialien für sozialwissenschaftlich-kriminalistische Aufklärung.
Themen im Jahr 2024
Empfehlung: Befunde zur Zeitgeschichte des Zürcher Rechtsanwalts Emrah Erken aus liberal-demokratischer Sicht
Erken, E. (2.5.2024) "Der Wegbereiter für die Brüller von Hamas-Parolen - Jean Ziegler ist ein Postkolonialist avant la lettre." NZZ Feuillton.
In seinem Essay (NZZ, 15.4.2024): "Die Kehrseite der Freiheit: Im Westen erreichen Islamisten ihre Ziele leichter als in muslimischen Ländern" illustriert Erken das sog. Toleranz-Paradoxon. Offene Gesellschaften müssen sich gegen totalitäre Mächte schützen können, denn sonst passiert, wovor Karl Popper 1945 gewarnt hat: "... wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen."
Totalitäre Bewegungen, die in der Moderne den Islam unterwandert haben, gehen u.a. auf Hassan al-Banna (1906-1949), den Gründer der Muslimbruderschaft zurück. Sein Enkel Tariq Ramadan verfasste eine Apologie und Propagandaschrift dazu, die erst mit Hilfe einer Intervention Jean Zieglers in Genf als Dissertation angenommen wurde. Die Muslimbrüder waren in Wirklichkeit mit dem Nationalsozialismus verstrickt und haben Teile dieser Menschenverachtung bis heute weiterführen können. Wie es dazu kam, erzält Matthias Küntzel (23.8.2023): "Das Nachbeben" auf Jungleworld.
Zum Jahresanfang erläuerte Erken in erfrischend nüchternem Ton einige Aspekte der Entstehung des Schubladendenkens von "Anti-Kolonialismus", "critical race theory" und "Intersektionalität". Es sind Schablonen, die sich in den Hochschulen breit gemacht haben. Erken erklärt auch, was die Attraktvität dieser Ideologie ausmacht, die an ein naives Gerechtigkeitsempfinden anknüpft: "Woke Akademiker zerstören unsere Zivilisation"auf "Achtung Reichelt!" NiUS (13.1.2024).
Dahinter steckt aber noch mehr als eine radikale Ideologie, nämlich ein massiver Angriff auf das analytische Denken schlechthin, auf die Wissenschaft als solche und auf die soziale Kommunikation. Die genannten Gedankengebilde wurden im letzten Jahrhundert durch Modeautoren wie Michel Foucault, Edward Said, Judith Butler, Bruno Latour, Ernesto Laclau und Chantal Mouffe aufgegleist. Deren Bücher kommen zuweilen in gestelzten Phrasen daher, was ihnen einen Anstrich von Gebildetheit verleiht, doch bei näherer Betrachtung stecken ihre Argumente voller Widersprüche (zu sich selbst und zur Realität). Ihre frivole (angebliche) "Forschung", die sog. Anti-Hermeneutik (das ist kein Witz!) beruht auf assoziativem und unlogischem Denken, das sich auf den äusseren Schein der Dinge und auf Sprachspielchen begrenzt. Die Anti-Aufklärer/innen suchen das unabhängige kritische Denken mit plakativen Slogans zu verhindern und ihre sog. "Narrative" sind oft nur eine akademisch verbrämte Form von billiger Skandalisierung.
Die Forschungsinstitutionen müssen daher aktiv werden, damit sie sich nicht selber von innen her zerstören und in der Öffentlichkeit jede Glaubwürdigkeit verlieren. Einige der sogenannten "Diskursanalysen" (nach Foucault) und "Akteur-Netzwerke" (nach Latour) sind aus rhetorischen Tricks zusammenbastelt. Wenn angebliche "Ergebnisse" der erwähnten simplifizierenden Gedankengebilde auf logischen Denkfehlern, z.B. auf Duplizität (Selbstwiderspruch), auf Verstössen gegen das Veto der Quellen, auf willkürlicher Überdehnung und Verengung der Begrifflichkeit, auf cherry-picking, und auf intransparenter Quellendeklaration beruhen, erfüllen sie das Kriterium der Überprüfbarkeit nicht und verdienen das Qualitätsmerkmal "Wissenschaft" nicht, oder sie sind sogar unlauter. Tariq Ramadans Doktorarbeit wäre beispielsweise diesbezüglich einer interdisziplinären Prüfung zu unterziehen, ebenso wie gewisse "Werke" seines Mentors Jean Ziegler. Selbstverständlich darf eine bessere Fehlerkultur nicht in ein "Bücherverbot" münden, sondern es genügte eine symbolische Geste der Hochschulen, mit der sie ungenügend oder gar nicht validen Arbeiten das Gütesiegel der Wissenschaftlichkeit öffentlich wieder aberkennen. Forschungsgelder, die in solchen Fällen gesprochen wurden (z.B. vom Nationalfonds), müssten jedoch zurückerstattet werden. Als Private sollen Aktivist/innen ihre Meinung frei kund tun dürfen, solange sie nicht gegen Gesetze verstossen.
Heute ist es nötiger denn je - da gehe ich mit Emrah Erken sehr einig - sich gegen die anti-aufklärerische Propaganda zu wehren. Die demokratische Freiheit wird von rechts aussen und von links aussen umklammert und erstickt. Beide zusammen, die Linksextremen (AntiFa, Antikolonialismus, Gender-Theory, French School) und die Rechtsextremen (AFD, Junge Tat, Donald Trump) bilden eine Mesalliance von Unzufriedenen, die einen gewaltsamen Umsturz anstreben (das sog. "Hufeisen"). Leichtfertig wollen die Extremisten die Errungenschaften des Rechtsstaates und der Aufklärung über Bord werfen, alle diese Freiheiten, die für die Millionen von Menschen gekämpft haben und sterben mussten. Es macht unglaublich traurig, wenn man daran schon nur denkt. Tun wir etwas dagegen!
Themen im Jahr 2023
Wer für Demokratie, Aufklärung und Meinungsfreiheit eintritt, sollte unbedingt Lucien Scherrers Interview mit Richard Malka, dem Anwalt von "Charlie
Hebdo", in der Neuen Zürcher Zeitung lesen. Er spricht die Tatsache an, dass die extreme Linke immer wieder auf totalitäre Irrlehren hereinfällt, Diktatoren hofiert und deren Gräueltaten negiert. Hier gibt es historischen Aufarbeitungsbedarf. (Ergänzend zu Scherrer & Malka steht der Essay von Werner Pfau über den sog. 'Grossdenker' Michel Foucault)
Judenverfolgung und -Hass sind seit Jahrhunderten eng und kausal verbunden mit einer anderen, tief liegenden Krankheit. Der Krebs-Herd mit dem zusammen der Antisemitismus wuchert, ist die Gegen-Aufklärung, das Leugnen der Rolle der Vernunft für die Pfeiler der Welt (Wahrheit, Gerechtigkeit, Friede) zugunsten von 'gefühlten' Wahrheitsillusionen, einem Huldigen von Irrationalität (als angeblicher "Natur") und von Stammes- und Schubladendenken. Malka: "Juden sind wie der Kanarienvogel in der Kohlenmine, wenn sie fliehen, wird es für alle gefährlich, das hat die Geschichte gezeigt: Zuerst kamen sie dran, dann andere. Aber die radikale Linke will diesen Antisemitismus überhaupt nicht sehen." Die Gegen-Aufklärung speist sich aus dem Neid auf Bildung, Intelligenz und auf analytisches Denken. Er hat in den Kulturfächern leider ein Refugium gefunden, wo er die Hermeneutik krass entstellt hat (siehe Condorcet.
Innerhalb der Linken taucht nun (endlich wieder) Kritik an der Anti-Aufklärung auf. Einige der tieferen Gründe für diese Verirrungen erhellt die Philosophin Susan Neiman. In behutsamen Schritten hinterfragt sie die kognitive und ethische Verwahrlosung, welche die sog. French School mit ihrer (versteckt) reaktionären Agenda in den Geisteswissenschaften und in der Politik und Wirtschaft weltweit angerichtet hat. Vieles kann Neiman nur tangential abhandeln. Einigen 'heissen Eisen' muss sie aus dem Weg gehen - was ihren Mut in keiner Weise schmälert. Ich befürchte aber deshalb, dass z.B. ihre Israelkritik missverstanden und missbraucht werden könnte. Sie legt einerseits ein Zeugnis ab für die freiheitliche innerjüdische Debattenkultur, von der andere Gesellschaften und Intellektuelle nur träumen können und lernen müssten. Angesichts des asymetrischen Informationskriegs, den antisemitische Agitatoren und Diktaturen führen, fände ich es jedoch besser, solche Kritik ebenfalls streng universalistisch anzubringen. M.E. sollte sie im Vergleich zum Verhalten der anderen Staaten (z.B. zur Zensur, der fehlenden Selbstkritik und der Verfolgung von intellektuellen Aufklärer/innen im Nahen Osten) und unter Berücksichtigung aller historischen Verwerfungen im Zuge der (post-)kolonialistischen Grenzziehungen eingebettet sein. Sonst können daraus leicht Doppelstandards fabriziert werden (vgl. 3D-Regel). Doch genau das ist innerhalb gewisser Kreise von sich "linksintellektuell" Nennenden ein Minenfeld. Hartgesottene "Postkolonialisten" verweigern sich der Verhältnismässigkeit in jeder Hinsicht und attackieren alle, die es wagen. Sie frönen unverhohlen dem Manichäismus und verrennen sich dabei einmal mehr (siehe Scherrer & Malka; siehe Somm (2.10.2023)) zur Sklaverei.
Was leider kognitionspsychologisch zu erwarten war, passierte denn auch: Viele Angesprochene reagierten mit einer Pauschal-Abwehr (siehe auf Perltaucher).
Sie zerreden Neimans Argumente und verwenden dazu das sich selbst immunisierende Argumentarium, das Neiman kritisiert. Sie scheinen wie gefangen in der Abgehobenheit, der Prätention, dass alles nur "Sprachspiel" sei. Neimans Kritik an der French School ernst zu nehmen, sie breit zu rezipieren und zu vertiefen, wäre nicht nur im ureigenen linken Partei-Interesse - es wäre in dem der demokratischen politischen Landschaft schlechthin. (Neimans Isreal-Kritik hingegen kann m.E. nicht unbesehen übernommen werden.)
Neimans Buch und seine Besprechungen bilden zusammen genommen ein beredtes Zeit-Zeugnis dessen, was in diesen Kreisen als gar "nicht sagbar" gilt und was sie vielleicht nicht einmal mehr denken können, weil ihnen die critical thinking Werkzeuge dazu fehlen. Diese wurden von Foucault ebenfalls mit gestelzten Vorwänden "entsorgt". Als undenkbar geworden und "nicht sagbar" gilt in der Blase: Die French School ist eine reaktionäre akademische Strömung, deren innerer dogmatischer Kreis darauf abzielt, die Fundamente aller Wissenschaft und zugleich jeglichen gesellschaftlichen Fortschritts zu zerstören.
Wie es überhaupt soweit kommen konnte, dass Gruppendenken, rethorische Tricks und Denkfehler in gewissen Fächern an Hochschulen "gelehrt" werden und weshalb ihre Vertreter/innen sich zu einer sozialen "Elite" gemausert haben - obwohl manche ihrer Arbeiten intellektuell nicht genügen - ist wieder eine andere und lange Geschichte.
Nachtrag zum 4. Oktober 2023 - die zerstörte Hoffung auf Friede, Wahrheit und Gerechtigkeit
Am 7. Oktober 2023, kurze Zeit nach dem letzten Update dieser Webseite, hat sich die Befürchtung, dass die innerjüdische Debattenkultur von den Gegnern des Pluralismus und des dialektischen Denkens missbraucht wird, auf schrecklichste Art erfüllt. Das Mitgefühl von jüdischen und israelischen Pazifist/innen für die Situation der Palästinenser/innen, die von muslimischen Diktaturen und Terrorbanden seit Jahrzehnten als Kanonenfutter und Schutzschilder vorgeschoben werden, war vor dem 7. Oktober wohl von einer allzu idealistischen Hoffnung auf Frieden und Prosperität für alle Menschen im Nahen Osten getragen. Heute ist diese Hoffnung in Scherben. Bestürzend ist hier die freiheits- und menschenrechtsfeindliche Haltung vieler Anhänger/innen der akademischen Bewegung rund um Michel Foucault & Edward Said & Judith Butler. Anstatt sich mit den verfolgten und beherzten Verfechter/innen von Humanismus, Vernunft und Aufklärung (auf jüdischer, muslimischer oder christlicher oder sonstiger Seite) zu solidarisieren, schlagen sie sich auf die Seite der brutalen Macht des politischen Islam und der Potentaten.
Vor Kurzschlüssen und Verallgemeinerungen sollte man sich gleichwohl hüten, denn diese Bewegung ist sehr heterogen. Nicht alle Akademiker/innen, die sich das eine oder andere mal von den besagten Sophisten Foucault, Said und Butler, haben inspirieren lassen, würden die Agenda eines harten Kerns von deren Jüngern unterschreiben. Einige wissen nicht einmal von den fanatischen Seiten des inneren Kerns, der den postmodernen Kult anheizt.
Corrigenda historischer Fehlleistungen über den Psychiater Hans Wolfgang Maier und den Gerichtsmediziner Heinrich Zangger
Einige Foucault-Anhänger/innen tun es ihrem Vorbild gleich, der eine "historiographisch brisante Thematik" anreisst, "sie aber den falschen Akteuren" zuschreibt (Mayer 29.09.2015 in FAZ). An den Beispielen von Hans Wolfgang Maier und Heinrich Zangger zeigt sich nun das Zerstörungspotential der French School auf die hermeneutischen Wissenschaften. Eines Tages wird es auf die Historiker/innen und auf die Hochschulen zurückschlagen, wenn die Wissenschaftsinstitutionen dem Treiben nicht endlich Einhalt gebieten (siehe Haas/Condorcet)
Das klassische Muster der Suche nach Sündenböcken kann im einfacheren Fall dazu dienen, die Bedeutung der eigenen Ergebnisse aufzublasen. Noch gravierender ist der komplexe Fall: Historisch unbelastete Akteure werden beschuldigt, wohingegen die wahren Täter geschont werden und deren Machenschaften unter den Teppich gekehrt. Damit entsteht eine Täuschung. Ob diese beabsichtigt war oder nicht, ist im Einzelfall zu eruieren. Mit einer solchen Schachspieler-Mentalität wird der (ehemals jüdische) Psychiater Hans Wolfgang Maier von einer dem allgemeinen Psychiatrie-Bashing verschriebenen Historikergruppe behandelt. Er dient als "Bauernopfer" und wird unangemessen hart angefasst. Oft wird er stellvertretend für den Zeitgeist der frühen Rassenhygiene um 1910 herum gemassregelt, wohingegen ausgerechnet seine Lehrer, Auguste Forel und Eugen Bleuler, die solche Ansichten viel länger und intensiver vertreten haben, ungleich sanfter behandelt werden. Forel und Bleuler waren zudem Rassisten (anders als Maier). Verschwiegen wird von den meisten Historikern, dass Maier - als er Professor war - eine sehr gemässigte Linie vertreten hat, und für die Freiwilligkeit von Sterilisierungen eingetreten ist: Eine Position, die man unter Reformeugenik subsummiert und die sich gegen die Nazi-Rassenhygiene wandte. Viele Historiker unterschlagen schlicht den Kontext der wenigen Behandlungsoptionen in der damaligen Psychiatrie und der fatalen Konsequenzen von Nicht-Behandlung (Gewalt und Missbrauch in der Familie bis zu Kindsmord). Was heute unnötig brutal erscheint, war für einige Betroffene die einzige wirksame Möglichkeit, sich gegen ungewollte Schwangerschaften zu schützen und gerade Frauen wünschten das.
Fachlich sehr gute und spannende Darstellungen der Biografie Maiers stammen hingegen vom Historiker Hans Jakob Ritter und vom Psychiater Christian Arnold. Zudem gibt es jetzt eine neue medizinhistorische Studie, die ihren Namen auch verdient. Sie stammt vom Psychiater und Psychoanalytiker Mario Gmür, der sich einen Namen als Spezialist für Medienopfer gemacht hat. Gmür wirft ein neues Licht auf die oft kolportierte Behauptung, Maier hätte eine "sexuelle Beziehung mit einer Patientin" unterhalten. Vielmehr scheint es sich um eine Praktikantin gehandelt zu haben. Die Behauptung, sie sei Patientin gewesen, müsste also mit einer Krankengeschichte aus dem Burghölzli oder einer Strafanzeige belegt werden, sonst verletzt sie die von der Verfassung garantierte Unschuldsvermutung. Interessant ist nun, dass ein Fakultätskollege Maier diese Praktikantin zugeschoben hat und dieser ist wahrlich kein unbeschriebenes Blatt: Es war Heinrich Zangger - ein "Freund des Nationalsozialismus". Mehrere Zangger-Hagiographien und das historische Vertuschen von dessen Aktivitäten verweisen ihrerseits auf die dunkle Kehrseite der Bauernopfer-Strategie.
Am Schicksal Maiers zeigen sich exemplarisch mehrere methodischen Herausforderungen, denen sich viele Historiker/innen erst noch stellen müssten, weil sie den Simplifizierungen der sog. Anti-Hermeneutik und des Konstruktivismus der French School aufgesessen sind. Gmür deckt eine brisante antisemitische Kampagne gegen Maier auf, die erst nach Ablauf der Archivfrist Ende 2024 vollends aufgeklärt werden kann. Die verurteilten Verleumder profitieren von der Schutzfrist, unter welche die Strafgerichtsurteile fallen, wohingegen deren Hetzschrift öffentlich ist. Wie man dem methodisch korrekt damit umgehen kann, zeigt der Historiker und Bundesarchivar Guido Koller (2017) gekonnt am Beispiel der Schweizer Flüchtlingspolitik im 2. Weltkrieg auf. Er beleuchtet die historischen Beurteilungen durch die Prismen verschiedener Epochen.
Weiterer Aufklärungsbedarf entsteht durch den Übertritt von Maiers Eltern von der jüdischen Religion in die protestantische Kirche. Aufgrund der rassistischen NS-Gesetze war Maier vom 3. Reich ebenso bedroht, wie alle bekennenden Juden in der Schweiz. Ritter (2009, S. 228-230) belegt, dass Maier an der Herbstversammlung 1934 unter den Schweizer Psychiatern zu den ganz wenigen Mutigen gehörte, die das NS-deutsche Zwangssterilisationsgesetz mit aller Deutlichkeit als "gefährlich" zurückwiesen (entgegen z.B. Eugen Bleuler). Ein Unterschlagen oder Kleinhalten solcher historischer Tatsachen entstellt die komplexe Realität von Widerstands- und Oppositionsformen gegen totalitäre Herrschaft. Wissenschaft besteht darin, mehrfache u.U. sogar gegenläufige Determiniertheiten aufzuzeigen und eben gerade nicht zu verschleiern (Kohtz & Kraus 2012, S. 260).
Wissenschaftlich und politisch unannehmbar ist nun, wenn jemand den gebürtigen Juden Maier als Anpasser gegenüber dem Antisemitismus und Rassismus während der NS-Zeit anprangert und gleichzeitig nazifreundliche Drahtzieher vor jeder Aufklärung verschont, obwohl deren Umtriebe in der selber konsultierten Sekundärliteratur und den Archiven dokumentiert sind. Es zeugt von einer bedenklichen politischen Schieflage, wenn von einer sich "wissenschaftlich" gebenden historischen Studie die Verteidiger der Menschenrechte und vom NS Bedrohte in "Beschuldigte" verwandelt und gleichzeitig die Täter zu "Helden der Wissenschaft" mythisiert werden. Als Laie fühlt man sich in einen falschen Film versetzt, wenn man merken muss, dass der Nationalsozialismus noch immer vor der nötigen Aufklärung geschützt wird - 80 Jahre nach seinem Untergang!
- Arnold, Ch. (1992). Der Psychiater Hans Wolfgang Maier (1882-1945). Dissertation Universität Zürich. Dietikon: Junis.
- Gmür, M. (14.06.2023). Die Affären Binswanger & Maier - antisemitische Hintergründe? Swiss Archives of Neurology, Psychiatry and Psychotherapy, 174:w03382
- Haas, H. & Preuss-Wössner, J. (2022). "Unser Zangger" - ein Freund des Nationalsozialismus. Jahrbuch SGFF.
- Kohtz, B. & Kraus, A. (2012). "'Wenn man ganz genau weiss, was man machen will, ...': eine praxeologische Perspektive auf geschichtswissenschaftliche Qualitätsstandards", Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 62: S. 250-267.
- Koller, G. (2017). Fluchtort Schweiz, Schweizerische Flüchtlingspolitik (1933-1945) und ihre Nachgeschichte. Stuttgart: Kohlhammer Verlag
- Maier Anner, B. (2023). Hans Wolfgang Maier. Eduard Einsteins Arzt. Biographie verfasst von seiner Enkelin. Grin.
- Ritter, H. J. (2009). Psychiatrie und Eugenik. Zur Ausprägung eugenischer Denk- und Handlungsmuster in der schweizerischen Psychiatrie, 1850-1950, Zürich: Chronos.
Kriminalistische und psychologische Denkanstösse für den beruflichen Alltag
Gesammelte Ratschläge auf Linkedin
Praktisch umsetzbare Realitätsprüfung statt des untauglichen Wahrheitsbegriffs
Die Erkenntnis der reinen "Wahrheit" als solche (unabhängig von der menschlichen Wahrnehmung und dem Denken) ist ein unerreichbares Ideal. Niemand kann sie für sich beanspruchen. Trotzdem kann man sich über Sachverhalte verständigen und einen Konsens finden. Hilfreich sind dabei die Kriterien der Belastbarkeit einer Argumentation (Fachausdruck: Validität). Aufdecken kann man Desinformation, Zensur und Propaganda, indem man nachweist, dass solche Argumente und Erzählungen nicht belastbar sind - sie halten der kritischen Prüfung nicht stand. Auf Schweizerdeutsch gibt es einen schönen Ausdruck dafür: "Verhebet's?" Belastbarkeit kann man in 5 Dimensionen untersuchen:
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Quellenangaben: Macht der oder die Autor:in Angaben dazu, woher die Informationen stammen und wo man noch mehr davon findet? Liefert er/sie Belege? Sind diese hilfreich und leicht zugänglich? Wenn die Zugangswege zur Information so schwer wie nur möglich gestaltet sind, ist die Information nicht überprüfbar und somit nicht valide.
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Formell-sprachliche Verbindlichkeit: Macht der oder die Autor:in verständliche, logische und widerlegbare Sätze oder handelt es sich um ein schmeichelndes Gesäusel, ein verwirrliches Geschwurbel oder um unnötig Hochgestochenes? Phrasen, die alles und nichts gleichzeitig bedeuten können, sind nicht valide.
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Innere Konsistenz, Widerspruchsfreiheit: Sind die Ausführungen in sich schlüssig und logisch, oder widerspricht sich der oder die Autor:in selbst? (sog. Duplizität)
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Faktizität: Stimmen die Ausführungen mit der Realität, d.h. den dazugehörigen Fakten überein? Nennt der/die Autor:in die belagbaren Fakten und grenzt sie von seiner Interpretation deutlich erkennbar ab?
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Ursächlichkeit und Intentionen resp. Motive: Erklären die Ausführungen die Ursachen des Sachverhalts sowie die Motive und Intentionen von Akteuren in schlüssiger und belegter Art und Weise? Oder handelt es sich bloss um Assoziationen und um Pauschalisierungen?
Leider stehen nicht wenige Leute der Aufklärung durchaus feindlich gegenüber und haben sogar eine Lebensphilosophie aus dem Vertuschen und dem Täuschen gemacht, die sie hinter einem angeblich "Guten" verstecken. Dafür gibt es einen grossen Markt, nämlich in der Politik, im sog. anwaltschaftlichen und sensationslüsternen Journalimus, in der Werbung und in den Teppich-Etagen gewisser Konzerne. Am Anfang der Versuchung, der die Vertreter:innen des Obskurantismus erliegen, stehen Ignoranz, Verblendung, Zynismus. Wer die Realität leugnet, verrennt sich aber früher oder später in eine Sackgasse und verstrickt sich in seinen Lebenslügen. Diese haben es nämlich in sich. Sie entfalten ihre eigene Dynamik, in der sich die Person immer mehr verfängt. Glück hat, wer dabei irgendwann auffliegt und sein Leben gezwungenermassen neu orientiert. Wer von diesen Leuten nie oder erst sehr spät auffliegt und sich nie korrigieren muss, hat (in Wirklichkeit) Pech. Das Verrennen und die Lebenslügen bleiben im Hinterkopf als Abgewehrtes sehr wohl präsent und münden im Alter in einen Endzustand von heimlicher Verzweiflung. Innerlich besser haben es diejenigen, die es wagen, gegen Machenschaften zu protestieren, auch wenn das nicht immer einfach ist. Der Roman "The Picture of Dorian Gray" von Oscar Wilde illustriert den Endzustand eines Schwindlers im Selbstüberdruss sehr eindrücklich.
Weiteres auf Forensic Consulting: Innovative, selbstständig denkende Menschen unter Beschuss. Aus dem leben gegriffene Beispiele, von denen man viel lernen kann.
Themen im Jahr 2022
Forscher am Pranger - zur mitunter zweifelhaften Rolle der Medien
In Spektrum der Wissenschaft hat Hartmann einen spannenden und hochaktuellen Artikel verfasst: "Wenn Fachleute ihre Erkenntnisse zu kontroversen Themen einbringen, werden sie oft zur Zielscheibe von Shitstorms und Hasskampagnen. Darunter leiden nicht nur die Betroffenen, sondern auch Forschung und Lehre. ... Hass schlägt Wissenschaftlern dabei nicht nur von einer Seite des politischen Spektrums entgegen." Presse, Funk und Fernsehen spielen mitunter zweifelhafte Rolle: böswillig stellen sie ein völlig verzerrtes Bild von Forschung dar. Dahinter stehen politische Aktivisten, die aggressiv irgend ein Thema oder ein Eigeninteresse bewirtschaften und dabei gezielt Forscher angreifen.
Zwei Philippikas zum Jahresbeginn 2022
Der Ausdruck "Philippika" stammt aus der Antike und bezeichnet eine leidenschaftliche Rede oder Kritik, in der es um die Bedrohung des Staats geht. Der Römische Konsul und Anwalt Marcus Tullius Cicero (106-43 v.Chr) hat ihn populär gemacht. Philipp Gut im Nebelspalter und Philipp Loser im Magazin treten in dessen Fusstapfen. Wenn die Medien sich nicht mehr als vierte Gewalt verstehen und wenn sie eine schrille Aufgeregtheitsberichterstattung in Dienst möglichst vieler Klicks verfolgen, verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit sehr schnell. Das gleiche gilt für die Wissenschaft und die Universitäten. Vertrauen ist ein kostbares Gut und es ist gleichzeitig sehr verletzlich. Die Frage ist, inwiefern sind Medien und Universitäten bereit, allfällige Fehler und Missgeschicke einzugestehen? M.E. ist die Umkehr ohne Imageschaden möglich. Das zeigte beispielsweise der Spiegel, der die Machenschaften ihres "postfaktischen" Reporters Claas Relotius eingestanden hat.
Zur politischen Dimension methodisch unzulänglicher Narrative
Unzulängliche Methodologie führt dazu, dass nicht nur Akteure falsch dargestellt werden, sondern auch Begriffe, historische Entwicklungen, Forschungspraktiken und Netzwerke. Es entsteht damit ein flimmerndes und missverständliches - abwegiges oder irreführendes oder verfremdetes oder auch vollkommen faktenwidriges - Bild der Realität (je nach dem nur stellenweise oder im grossen Ganzen).
Falsche Narrative provozieren die Auflösung der demokratischen Werte und der universellen Menschenrechte: Die falschen Bilder verschieben die Grenze zwischen einer demokratischen und menschenrechtskonformen Haltung und anderen menschenverachtenden und totalitären Ideologien, indem sie sie vermischen. Fehlerhafte Abbildungen der Realität durch Narrative müssen m.E richtig gestellt werden und die Vorgehensweise der Autoren muss ebenfalls erhellt werden. Das eine geht logischerweise nicht ohne das andere. Nur so wird wissenschaftlicher Fortschritt möglich.
Weitere Artikel zum Obskurantismus in der Wissenschaft
Publikationen 2019 und 2020 und die zugehörigen Archivalien
- Haas, H. (2020). "Stringente Beweisführung und begründete Zweifel versus Schein-Beweise". Kriminalistik, 74(11): 699-707.
- Haas H. (2020). Is there a skeleton in the closet of the Julius Klaus Foundation?, Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Familienforschung, 47: 221-264.
- Deutsche Übersetzung: Hat die Julius Klaus Stiftung ein Skelett im Schrank?
- Haas H. (2019). "Obskurantismus als Gegenspieler zur kriminalistischen Aufklärung". Kriminalistik, 73(10): S. 615-622
- Haas, H. (2019). Per me si va tra la perduta gente. Der Briefwechsel der Botaniker Otto Renner und Alfred Ernst während der NS-Zeit. In: U. Hossfeld (Hrsg.). Annals of the History and Philosophy of Biology, Göttingen. 23: S. 157-195.
- Jahresberichte der Universität Zürich ab 1913 online. (Sie enthalten die Jahresberichte der Julius Klaus Stiftung)
Julius Klaus stiftung: Gründungsdokumente, Namens- und Reglementsaenderung 1920-1971
- StAZH U 920.14/2 und U 920.15/1: Briefe von Otto Schlaginhaufen an Julius Klaus und an seinen Hausarzt und Testamentsvollstrecker Adolf Barth vom 19.11.1919
Diese Briefe beziehen sich auf die Zustimmung von Klaus zum ersten Reglementsentwurf (der den Paragrafen 13 nicht enthielt).
- StAZH MM 3.35 RRB 1921/3417, Regierungsratsbeschlüsse:
Regierungsratsbeschluss vom 12.11.1921 zur Julius Klaus Stiftung, inkl. Testament von Julius Klaus
- StAZH Z 924.252: Erster Entwurf des Reglements der JKS von Schlaginhaufen/Ernst/Barth vom 5.10.1920
- Reglementsentwurf Nr. 1 (Teil 1: Begleitbrief und S. 1-3)
- - Reglementsentwurf Nr. 1 (Teil 2: S. 4-6)
- StAZH Z 924.252: Gutachten und 2. Reglementsentwurf von Paul Mutzner vom 12.3.1921 (besonders S. 10, 18-20).
- Mutzner (Teil 1: S. 1-7)
- - Mutzner (Teil 2: S. 8-14)
- - - Mutzner (Teil 3: S. 15-21)
- - - - Reglementsentwurf Nr. 2 von Mutzner (Teil 4: S. 4 sein Paragraf 13)
- StAZH Z 924.252: Stellungnahme von Schlaginhaufen und Ernst (ohne Barth) vom 24.5.1921 zum Gutachten Mutzner an den Regierungsrat des Kanton Zürich (hier besonders S. 1, 6, 9).
- Stellungnahme zu Mutzner (Teil 1: S. 1-6)
- - Stellungnahme zu Mutzner (Teil 2: S. 7-13)
- StAZH Z 924.253: Ablieferung Aktenarchiv JKS 2018/087: Programmpapiere der JKS 1921-1922
- Entwurf des Programms Tätigkeit der JKS vom 8.2.1922
- Programmpapier der Sozialanthropologie
- Programmpapier der Medizin
- Programmpapier der Bevölkerungsstatistik
- Programmpapier der Biologie "Vererbungsforschung an Pflanzen und Tieren"
Missing: Die verabschiedete, endgültige Version des Programms fehlt. Man weiss nicht warum. Man kann sie aber anhand des Entwurfs vom 8.2.1922 und der Diskussion in der 3. Sitzung des Kuratoriums der JKS vom 6.3.1922 einigermassen rekonstruieren. Der Inhalt der Programmpapiere entspricht nicht dem was PG (S. 42), behauptet, sondern er besagt das Gegenteil davon. Ausserdem hat er sie nirgends lokalisiert. Das medizinische Programm deklariert einen sehr klaren Bezug zum Schweizer Volk und der Nation, das bevölkerungsstatische Programm beruft sich implizit darauf - anders als PG schreibt.
- 1971: StAZH MM 3.133 RRB 1971/6205 Julius Klaus-Stiftung (Aenderung des Stiftungsreglements)
- 1973: StAZH MM 3.137 RRB 1973/1134, Regierungsratsbeschlüsse: Wahl von Rolf Nöthiger ins Kuratorium der JKS erst 1973
Wie eine Vignette über das Kaffesatzlesen als "Methode" gewisser Historiker lesen sich die Abschnitte aus Germanns Buch "Laboratorien der Vererbung" 2016 zum Zoologen Nöthiger (1934-2019). Germann ruft Nöthiger als Zeugen über Vorgänge im Kuratorium der Julius Klaus Stiftung für die Zeit bis 1971 an.
Germann S. 63f: "Vor dem Jahr 1970 ist jedenfalls in den sehr umfangreichen Protokollen des Kuratoriums und des Vorstands keine einzige Wortmeldung notiert, in welcher Bedenken gegenüber der rassenhygienischen Programmatik der Stiftung geäussert worden wären. ... Dieser Befund stimmt mit den Erinnerungen eines ehemaligen Kuratoriumsmitglieds überein. In einem Gespräch hat er hervorgehoben, dass sich niemand an den rassenhygienischen Bestimmungen 'gestört' habe: 'Nie ist eine kritische Stimme aufgetaucht.'95"
Fussnote 95 "Gespräch mit Rolf Nöthiger, 2.12.2013".
Germann S. 411: "Im Mai 1971 beraumte der Vorstand schliesslich eine ausserterminliche Sitzung mit dem einzigen Traktandum 'Änderung des Stiftungsreglementes' an. Es sei 'keine dramatische Sitzung gewesen, erinnert sich ein ehemaliges Kuratoriumsmitglied.3 Einhellig entschied das Kuratorium, die Begriffe 'Rassenhygiene' und 'weisse Rasse' aus den Statuten zu streichen."
Fussnote 3 "Gespräch mit Rolf Nöthiger, 2.12.2013".
In Wirklichkeit war Nöthiger an der erwähnten Sitzung von 1971 und an denen vorher gar nie anwesend. Er wurde erst 1973 ins Kuratorium gewählt (vgl. Haas 2019b, S. 619 Bsp. 3). In seiner Tabelle der Kuratoriumsmitglieder (S. 47f) lässt Germann es so erscheinen, als habe er die Jahresberichte nur bis 1969 konsultiert, in Wirklichkeit gehen die Informationen aber bis 1987, somit muss er auch die späteren Jahresberichte kennen. Ferner verschweigt er seinen Leser/innen, dass die Jahresberichte der Julius Klaus Stiftung immer in denen der UZH abgedruckt wurden. Man kann sie also ganz leicht konsultieren (hier Jb UZH 1972/73, S. 83 zum Jb der JKS).
- Schlaginhaufen, O. (1925a). "Julius Klaus (1848-1920)". (Nachruf) Archiv der JKS I: S. 4-7.
- Schlaginhaufen, O. (1925b). "Reglement der Julius Klaus Stiftung". Archiv der JKS I: S. 8-12.
- Schlaginhaufen, O. (1929). "Dr. med. Adolf Barth (1872-1930)". (Nachruf). Archiv der JKS IV (3/4): S. 3-9.
Anliegen der medizinischen Fakultät, Zufriedenheit mit der JKS, Vorsicht gegen die Eugenik
- Z 70.517: Dekan Hess an Professoren der Medicinischen Fakultät, 11.12.1922.
(Anm. der Satz muss "mit Vererbung" zu tun haben ist unterstrichen, nicht in Grossbuchstaben wie PG (S.55) unrichtigerweise behauptet)
- StAZH Z 70.2874: Protokoll medicinische Fakultät Sitzung vom 25.10.1922, S. 376.
2) "Herr Zangger orientiert: ... Die medizinische Fakultät hat von sieben nur 1 Stimme im Comite; Interessengegensätze bestehen oder sind zu erwarten."
- StAZH Z 70.427: Brief Zangger an Dekan Hess vom 26.12.1922
Zangger beklagt sich beim Dekan über seine medizinischen Kollegen, die ihre Abrechnungen nicht richtig erledigten.
- StAZH Z 70.427: Brief Zangger an Dekan Hess vom 14.1.1923.
Definition der Rassenhygiene
- StAZH Z 70.427: Brief Zangger an Dekan Hess vom 28.1.1923.
Lieber Herr College, Wir müssen mit der Umgrenzung der Rassenhygiene vorwärts machen. Schwache Position: ich möchte, dass sich die Fakultät nicht ins Unrecht setzt.
- StAZH Z 70.427: Brief Zangger an Dekan Felix vom 12.11.1925.
"Da ich das einzige Mitglied der medizinischen Fakultät war, hatte ich nicht immer eine leichte Stellung; ich darf aber wohl daran erinnern, dass ich bereits im ersten Jahr für die medizinische Fakultät ca. 25 000 Fr Kredit bewilligt erhielt und dazu die Möglichkeit an den 10 000 Fr für Bibliotheksanschaffungen durch Vorschläge zu partizipieren. Leider wurde in den folgenden Jahren die Stiftung nicht sehr ausgiebig benützt. Ich möchte Sie aber versichern, dass das Kuratorium in keinem Fall, in welchem ich die Gesuche begründen konnte und die nicht im Widerspruch mit den Testamentbedingungen und den Statuten standen, die Kredite vorenthielt."
- StAZH Z 70.427: Aktennotiz oder Bericht Erziehungsdirektion vom 31.5.1945
"Auch die Ertragsverwendung dürfte mit Rücksicht darauf, dass die Subventionen jeweilen vom Kuratorium beschlossen werden, ohne weiteteres als mit den Bestimmungen des Stiftungareglementes vereinbar betrachtet werden, die als Endziel die Vorberereitung und Durchführung praktischer Reformen zur Verbesserung der weissen Rasse angeben. Vielleicht gibt der nächste Jahresbericht in einer Uebersicht über die Ertragsverwendung während der 25 Jahre des Bestehens der Stiftung Hinweise auf erfolgte Vorbereitung und Durchführung praktischer Reformen auf Grund der Forschungen, die auf breiter Grundlage erfolgte (beispielsweise sind für genetische Untersuchungen an Pflanzen Subventionen im Totalbetrag von über Fr.190,000.- an Prof Ernst ausgerichtet worden)."
Im Jahresbericht der Julius-Klaus-Stiftung 1946/47 (im Jb UZH S. 45) berief sich das Kuratorium implizit auf die damalige Stellungnahme gegen das Gutachten Mutzner vom 24.5.1921 (S. 7) und stellte klar: "es muss immer wieder gesagt werden, dass nur eine Eugenik, die auf wissenschaftlicher Basis ruht und durch die Forschung immer wieder kontrolliert wird, berechtigt ist, ihre Ideen in die Tat umzusetzen."
Kuratoriumsprotokolle: Verwendung der Gelder und Umgang mit rassenhygienischen Forderungen
- StAZH Z 924.1 (1921-1926): Protokoll der 1. Sitzung des Kuratorium JKS vom 29.11.1921 (S. 1-10).
S. 8-10, Fragen nach Arbeitsprogramm und Hescheler: Eugenisches Institut. Zangger wird stv. Vorsitzender (S. 4), Mutzners Rechnung erwähnt (S.7).
- StAZH Z 924.1 (1921-1926): Protokoll der 2. Sitzung des Kuratorium JKS vom 2.2.1922, (S. 12-22).
Schlaginhaufen Ruf nach Wien, Programmpapiere, Zangger ist Vice-Präsident.
- StAZH Z 924.1 (1921-1926): Protokoll der 3. Sitzung des Kuratorium JKS vom 6.3.1922 (S. 23-37).
Diskussion Programmentwürfe, Barth: es sei ein "Verbrechen, erblich belastete Kinder zu zeugen", Ehezeugnisse, Volk gg Eugenik, Hescheler & Ernst sind für ein eugenisches Institut, Zangger dagegen (S. 32f). Gesuch Ernst zur Primelforschung (S. 34-37).
- StAZH Z 924.1 (1921-1926): Protokoll der 4. Sitzung des Kuratorium JKS vom 12.6.1922 (S. 42-56).
S. 54-56: Zangger will eine Kropfkommission. S. 55 wird erwähnt, dass es am 12.6.1922 eine Sitzung des Bureaus (Vorstand) gegeben habe, die vorberaten habe - die Protokolle des Vorstands der ersten Jahre fehlen.
- StAZH Z 924.1 (1921-1926): Protokoll der 5. Sitzung des Kuratorium JKS vom 11.7.1922 (S. 57-65).
S. 62-64: Alle sind gegen die Subventionierung von Kropf-Prophylaxe per se (auch Zangger als Vertreter der med. Fak. sieht voraus, dass dies nicht gehe). Beschlossen werden Fr 15'000.- zur Erforschung der Kropfprophylaxe an Schulkindern für das Jahr 1922. S. 67: Institut für Vererbungsforschung zu diskutieren.
- StAZH Z 924.1 (1921-1926): Protokoll der 6. Sitzung des Kuratorium JKS vom 30.11.1922 (S. 68-80).
med. Fak. will einen oesterreichischen Referenten und macht Druck. S. 78: Hescheler will Definition Rassenhygiene dem Vorstand übergeben. S. 79: Kropfkommission, Zangger möchte mehr Vorträge von ausländischen Forschern (S. 80).
- StAZH Z 924.1 (1921-1926): Protokoll der 7. Sitzung des Kuratorium JKS vom 14.12.1922 (S. 81-85).
Ablehnung des oesterreichischen Referenten, nicht bezogene Gelder, eigene Zeitschrift.
- StAZH Z 924.1 (1921-1926): Protokoll der 8. Sitzung des Kuratorium JKS vom 28.2.1923 (S. 86-99).
S. 87: Antrag Zangger angenommen, S. 88: Kropfkommission: Ernst muss Zangger ersetzen der krank war, Zangger klagt, dass er in Bezug auf Anschaffungen von seinen medizinischen Kollegen übergangen wurde, diese entsprechen nicht dem Gesuch. Es wird beschlossen, dies mitzuteilen. S. 89: Die Kropfforscher haben keinen Bericht für das Jahr 1922 abgeliefert und die Subvention wurde nicht bezogen.
- StAZH Z 924.1 (1921-1926): Protokoll der 9. Sitzung des Kuratorium JKS vom 8.5.1923 (S. 100-117).
-- Teil 1 S. 100-106.
-- Teil 2 S. 114, 116. --
S. 100: Zangger will Rassenhygiene besser definieren, Unsicherheiten zur Finanzierung der Anschaffung von Instrumenten. S. 103: Vorschlag Schlaginhaufen den Posten Menschliche Vererbung zu erhöhen - Ausgang unklar. S. 104f: Kropfforscher haben zugesprochenen Betrag nicht bezogen, Silberschmidt verzichtet auf Bezug. S. 106: Zangger findet, mit der Behandlung der Sterilisationsfrage sollte eher zugewartet werden, S. 114ff: Schlaginhaufen begrüsst Forschung von Vogt. S. 116f: Zangger bespricht Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten wegen Kropfforschung. Definition Rassenhygiene wird auf eine späteren Zeitpunkt verschoben.
- StAZH Z 924.1 (1921-1926): Protokoll der 12. Sitzung des Kuratorium JKS 14.2.1924 (S. 142, 144, 147).
S. 144: Subvention 4'250.- Fr von Kropfforschern wurde nicht bezogen. Silberschmidt und Feer verzichten auf die Unterstützung. S. 147: Beschluss des Beitritts zur "International Commission of Eugenics" (später IFEO) auf Antrag von Schlaginhaufen.
- StAZH Z 924.1 (1921-1926): Protokoll der 16. Sitzung des Kuratorium JKS vom 26.11.1925, Ab S. 192.
Zangger bitte um seine Entlassung aus dem Kuratorium wegen Überlastung und gesundheitlichen Gründen. Der Vorsitzende bitte ihn vergebens zu bleiben. Alfred Vogt wird sein Nachfolger
- StAZH Z 924.3 (1933-1938): Protokoll der 26. Sitzung des Kuratoriums der JKS vom 3.2.1933, S. 1, 7.
Vogt dankt Erst für seine wertvollen Untersuchungen
- StAZH Z 924.3 (1933-1938): Protokoll der 27. Sitzung des Kuratoriums der JKS vom 24.1.1934
-- S. 9-12. --
- S. 13-16. --
S. 13: a. Ernst Gesuch 12'000.- zur Primelforschung, wird bewilligt. b. Eugster und Dieterle stellen Gesuch zur Erforschung zur Vererbung endemischer Struma (Kropf), Silberschmidt empfiehlt es lebhaft, Vogt ebenfalls, bewilligt werden 1'500.-. S. 14f: g. "Gesuch der 'Mütterhilfe Zürcherischer Schwangerenberatungsstelle'. Diese Institution verlangt ebenfalls eine Subvention von 1000 Fr.. Der Vorstand hat im Stiftungsreglement keine Bestimmung entdecken können, welche die Bewilligung der Subvention ermöglichen würde. Es handelt sich um eine Tätigkeit sozialhygienischer, nicht eugenischer Natur. Immerhin möchte der Vorstand später eventuell auf das Gesuch eintreten, wenn der Zusammenhang zum Stiftungszweck deutlicher hervortreten sollte. Prof. Vogt möchte 'einen einmaligen Betrag bewilligen, um der Kritik entgegenzutreten, die behauptet, die Julius Klaus-Stiftung habe für alle möglichen Zwecke Geld, nur nicht für Bestrebungen, die sich auf den Menschen beziehen.'" Prof. Hescheler betont, dass 'für den Vorstand massgebend gewesen sei die Befürchtung, dass alle möglichen Fürsorgebestrebungen sich an uns heranmachen könnten.' Diese Institution veranstaltet nicht Vorträge ... Regierungsrat Dr. Wettstein weist darauf hin ... 'Der Schwangerenberatung kommt doch ein gewisser rassenhygienischer Wert zu. darum sollte man ohne jedes Präjudiz einen einmaligen Betrag von 500 Fr. gewähren'. Dies wird beschlossen.
- StAZH Z 924.5 (1945-1950): Abschrift von Ausschnitten des Protokolls der 44. Sitzung vom 11.3.1947 (S. 19, 25):
Anwesende S. 19: Schlaginhaufen, Briner, Ernst, Hess, Löffler, Steiner, Grossmann
S. 25 "5) m) der schweizerische Zentralverband für das Blindenwesen plant eine Blindenzählung in der ganzen Schweiz und ersucht um einen Kostenbeitrag von Fr 3'000.- . Der Vorstand beantragt die Ablehnung des Gesuches, da für die Vererbungsforschung voraussichtlich nicht viel dabei herauskommen werde. Regierungsrat Dr Briner bemerkt immerhin, dass für die praktische Rassenhygiene doch etwas mehr getan werden dürfte und dass die geplante Zählung vielleicht doch eine Grundlage für eigentliche Forschungen bieten könnte. Nach der Durchführung der Zählung wäre das Gesuch neuerdings zu prüfen."
Kommentar: Das gleiche Anliegen findet sich schon im Protokoll des Vorstands der Julius Klaus Stiftung vom 29.1.1938 und es wurde ebenfalls abgelehnt. Hier zeigt sich, dass die JKS keine Befürworterin einer systematischen Kartei von "Erbkranken" war und sich zudem bewusst war, dass Blindheit keineswegs immer vererbt wird, sondern zig Aethiologien haben kann. RR Briner war sich dessen wohl zuwenig bewusst. Von einer "Überwachung des Volkskörpers" im faschistischen Sinn kann keine Rede sein.
- StAZH Z 924.5 (1945-1950): Abschrift von Ausschnitten des Protokolls der 47. Sitzung vom 28.2.1950 (S. 62, 73):
Anwesende S. 62: Schlaginhaufen, Löffler, Hess, Briner, Steiner, Bickel, Ernst
S. 73 "Im Anschluss an die Verabschiedung der Jahresberichte regt Herr K. Hess eine Diskussion über Wege und Ziel der durch die Stiftung geförderten Forschungen an. Er erinnert an das von Herrn Julius Klaus hinterlassene Testament, in welches er nach Besprechungen mit den Herren Dr. med. A. Barth, Prof. Dr. O. Schlaginhaufen und Prof. Dr. A. Ernst die Bestimmung aufgenommen hat, welche nach seinem Tode in das am 12. November 1921 vom Regierungsrat des Kantons Zürich genehmigte Stiftungsreglement übernommen worden sind. Hatte Herr Klaus ursprünglich den Ertrag des Vermögens ganz allgemein für Bestrebungen zur Förderung und Verbesserung des weissen Rasse bestimmen wollen, so ist er durch die Unterredungen mit den genannten Beratern zur Ueberzeugung gelangt, dass vorderhand das ihm vorschwebende Ziel nicht auf praktischen Weg erreicht, sondern nur durch wissenschaftliche Forschung vorbereitet werden könne. Das Kuratorium hat seit Inkrafttreten des Stiftung streng darauf geachtet, dass die jährlich zur Verfügung stehenden Mittel nach den Bestimmungen des Reglements Verwendung fanden. Immerhin scheint es Herrn Hess, dass die vom Donator gewünschten praktischen Massnahmen, die in den §§13 und 15 mitaufgeführt sind, bis anhin etwas wenig Beachtung gefunden haben, und z. B. für die Veranstaltung von Vorträgen, Ausgabe von Broschüren und Flugblättern über praktische Ziele der Rassenhygiene niemals grössere Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Er regt an, in Zukunft einen etwas grösseren Anteil der jährlich verfügbaren Mittel für solche Zwecke bereit zu halten.
Dieser Anregung schliesst sich eine fruchtbare Diskussion an.
Herr Prof. Dr. med. W. Löffler, als der Praxis rassenhygienischer Bestrebungen nächst stehendes Kuratoriumsmitglied weist zunächst darauf hin, dass es sehr viel leichter sei, auf diesem Gebiete Forderungen aufzustellen, als diese hernach zu erfüllen. Er beschäftigt sich seit 30 Jahren mit Vererbungsfragen und hat gefunden, dass auf menschlichem Gebiete gute Arbeit nur auf solider wissenschaftlicher Grundlage, den Resultaten der zoologischen und botanischen Erbforschung, aufgebaut werden kann. [...]
Das Menschenleben ist zu kurz, um auf solchen Gebieten Früchte ernten zu können, so ist es verständlich, dass Herr Hess den Eindruck haben muss, dass praktische Resultate der bis jetzt subventionierten Forschungen bis jetzt kaum erkennbar sind.
Herr Regierungsrat Dr. R. Briner versteht den Wunsch von Herrn Hess. Er betont die Wichtigkeit der Prophylaxe, ist aber auch der Ansicht, dass das Primäre die wissenschaftliche Erkenntnis sein muss. Einiges ist immerhin im Sinn der Anregung von Herrn Hess bereits geschehen. (Zentralstelle für Ehe- und Sexualberatung, Mütterhilfe, Lehrauftrag Erbbiologie Hanhart)
Der Vorsitzende, Prof. Dr. O. Schlaginhaufen, bittet nicht zu vergessen, dass das letzte Jahrzehnt für die Verbreitung rassenhygienischer Ideen und Bestrebungen ungünstig war. Jetzt kommen auch in dieser Hinsicht wieder bessere Zeiten. [...]
Prof. Dr. A. Ernst erinnert daran, dass das Kuratorium der Stiftung schon in der dritten Sitzung vom 6. März 1922 ein eingehendes Programm seiner Tätigkeit aufgestellt hat und u.a. die Einsetzung von Beratungen und Kommissionen zu Fragen wie Ehezeugnisse, Sterilisierung, Kropfbekämpfung und Verhütung in Aussicht nahm, dass diese Bestrebungen damals aber auf nicht zu beseitigende Hindernisse stiessen. Er schlägt vor, im Vorstande des Kuratoriums jenes Tätigkeitsprogramm wieder einmal zu überprüfen und dem Gesamtkuratorium in der Richtung der Anregung von Herrn Hess gehende, zeitgemäss erscheinende Anträge zu unterbreiten.
Unterzeichnet vom Schriftführer A. Ernst"
Kommentar: Man sieht hier wieder den Willen, von jeglicher praktischen Eugenik Abstand zu nehmen. Karl Hess war der zweite Testamentsvollstrecker von Julius Klaus nachdem Adolf Barth gestorben war.
- StAZH Z 924.6 (1951-1956): Abschrift von Ausschnitten des Protokoll der 49. Sitzung vom 2.3.1951
Anwesend: Schlaginhaufen, Löffler, H. Steiner, Prof. W. Bickel, A. Ernst, RR R. Briner, K. Hess
S. 17: "Im Anschluss an die Behandlung der beim Kuratorium eingegangenen Subventionsgesuche macht Herr Regierungsrat Briner die Mitteilung, dass von aussenstehender Seite die vom Kuratorium in den letzten 10 Jahren geübte Subventionspraxis kritisiert werde. Beanstandet werde, dass Jahr für Jahr dieselben Forscher und Arbeiten unterstützt würden und andere leer ausgingen. Fast bei allen Gesuchen heisse es 'Zur Weiterführung etc.' und es werde der Anschein geweckt, 'man schenke sich im Kuratorium gegenseitig Tausende von Franken, während andere vor der Tür bleiben'. Er möchte daher gern Auskunft darüber ob wirklich ausgeschlossen sei, dass auch andere Forscher, die sich auf diesem Gebiet betätigen, auch auf Leistungen der Stiftung rechnen könnten und wirft die Frage auf, ob es nicht angebracht wäre, von Zeit zu Zeit die in Frage kommenden wissenschaftlichen Kreise auf die Möglichkeit der Ausrichtung von Subventionen durch die Julius Klaus Stiftung aufmerksam zu machen.
Zu den unerwarteten Vorwürfen und den daraus abgeleiteten Fragen und Anregungen nehmen der Vorsitzende und die Herren A. Ernst und W. Löffler in eingehenden Voten Stellung. Das Kuratorium nimmt von der Erklärung Vormerk, dass der Vorstand die Angelegenheit weiter prüfen und ihm zu gegebener Zeit die notwendigen Aufklärungen über Sinn und Tätigkeit der Julius Klaus Stiftung zu Handen der Erziehungsbehörden unterbreiten werde."
Kommentar: Aus diesem Text erschliesst sich einzig und allein, dass die Beanstandung mutmasslich von anderen Forschern stammte. Nichts verrät, welcher Disziplin diese angehörten, es könnten z.B. die Bevölkerungsstatistiker sein oder Anthropologen anderer Universitäten.
- StAZH Z 924.6 (1951-1956): Abschrift von Ausschnitten des Protokolls der 50. Sitzung vom 4.3.1952
Anwesend: Schlaginhaufen, Löffler, K Hess, RR Briner, H Steiner, W Bickel, A. Ernst.
S. 21: "1. Protokoll der Sitzung vom 2. März 1951. Kopien des Protokolls sind den Mitgliedern des Kuratoriums mit dem Einladungsschreiben zugestellt worden. Bezugnehmend auf sein Votum über die Behandlung der 1951 beim Kuratorium eingegangenen Subventionsgesuche (pag. 17 des Protokolls) wünscht Herr Regierungsart Briner, es möchten in der drittuntersten Zeile der Seite 17 die Worte 'nach den unerwarteten Vorwürfen' gestrichen werden. Zur Orientierung des Kuratoriums und zum Vermerk im Protokoll teilt er mit, dass ihm am 21. Februar 1952 in einer eingehenden Aussprache mit den Mitgliedern des Vorstandes Gelegenheit zur Feststellung geworden sei, dass die bisherige Praxis der Subventionierung durchaus sachlich und umsichtig erfolgte, und er freut sich darüber, dass, abgesehen von Kleinigkeiten und möglichen Verschiedenheiten in der Auffassung der Aufgaben der Stiftung, kein ernsthafter Grund vorliege, die bisherige Praxis der Dotierung zu kritisieren.
Der Vorsitzende verdankt Herrn Regierungsrat Briner diese freimütige Erklärung im Protokoll."
- StAZH Z 924.6 (1951-1956): Abschrift von Ausschnitten des Protokolls der 54. Sitzung vom 1.3.1956 (S. 85)
Anwesend: Schlaginhaufen, Hess, Löffler, Vaterlaus, Ernst, Bickel, Steiner.
S. 85: "10) Herr H. Rellstab Glarus: zur Unterstützung seines eugenischen Vortragsdienstes, speziell durch die Ermöglichung des Erwerbes des Bahnabonnements. Gesuch: Fr. 500.-
Auch dieses Gesuch weckt einige Bedenken. Prof. Ernst verweist darauf, dass Herrn Rellstab die wissenschaftliche Grundlage für seine Vorträge fehle. Vom Vorsitzenden wird erwähnt, dass die Vortragstätigkeit des Herrn Rellstab in praktisch eugenischer Hinsicht doch Gutes bewirke. Prof. Bickel und Regierungsrat Vaterlaus regen an, dass Herr Rellstab veranlasst werden solle, dem Vorstand des Kuratoriums mizuteilen, wenn er einmal in Zürich und Umgebung selbst vortrage, damit man diese kennenlerne. Unter der Voraussetzung wird Herrn Rellstab die Subvention bewilligt, nicht aber ein gleichzeitig gewünschter Beitrag an die Drucklegung einer Broschüre 'Blut ist Leben', deren Propagierung in der vorgelegten Form abgelehnt werden muss. Bewilligt Fr 500.-"
- StAZH Z 924.9 (1969-1979): Abschrift von Ausschnitten des Protokolls der 72. Sitzung vom 26.5.1971 (S. 28, 37)
Anwesend: Bickel, Hadorn, Storck, König, Biegert, Prader, Töndury
S. 37: "9. Namen- und Statutenänderung der Stiftung"
"Es entspinnt sich eine längere Diskussion über die neue Namensgebung. Die vorwiegende Meinung geht schliesslich dahin, dass die Bezeichnung 'Julius Klaus Stiftung für Vererbungsforschung und Sozialanthropologie' den testamentarischen Zweck der Stiftung decken würde. Dr. König meint, der Regierungsrat könne diese Aenderung des Namens genehmigen, er macht darauf aufmerksam, dass ausser den vom Vorsitzenden in seinem Bericht erwähnten Aenderungen noch eine Riehe weiterer Paragraphen des Stiftungsreglements geändert werden sollten. Das Reglement soll vollständig neu entworfen und dem Kuratorium in seiner nächsten Sitzung vorgelegt werden."
Zweck der Forschung von Alfred Ernst: Belege aus Bundesarchiv
- CH-BAR#E9510.10#1987/32# Marcel Benoist Preis nach Jahren (1917-1984)
Link: Kandidatendossiers: Bewerbungen.
- CH-BAR#E9510.10#1987/32#296*: Ablehnendes Gutachten von Otto Nägeli vom 16.6.1936 zur Kandidatur Ernst
Nägeli war deutschfreundlich und antisemitisch, und er zitierte den Nazigünstling Aschoff: Wikipedia zu Ludwig Aschoff
- CH-BAR#E9510.10#1987/32#331*: Gutachten von Alfred Vogt vom 22.8.1939 zur Kandidatur Ernst
- CH-BAR#E9510.10#1987/32#331*: Gutachten von Gustav Senn vom 17.6.1939 zur Kandidatur Ernst
- CH-BAR#E9510.10#1987/32#374*: Schreiben von Hans Bluntschli zur Kandidatur Alfred Ernst vom 25.5.1943
- CH-BAR#E9510.10#1987/32#374*: Gutachten von Hans Bluntschli vom 21.6.1943 zur Kandidatur Ernst
Vgl. dazu die Rezension von Hugo Iltis von A. Ernst (1942). Vererbung durch labile Gene, Zürich Archiv JKS. Iltis, H. (1944). "Labile Genes". Journal of Heredity, 35(11): S. 347-348. Hugo Iltis war ein Pionier der Rassismuskritik.
- CH-BAR#E9510.10#1987/32#374*: Begründung Vorschlag des späteren Nobelpreisträgers Walter Rudolf Hess vom 28.10.1943.
(NB. Der Preis ging schliesslich an den Physiker Paul Scherrer).
- de Quervain, F. & von Muralt, A. (1939). "Die ärztliche Wissenschaft." In A. Meili (Hrsg). Die Schweiz im Spiegel der Landesausstellung. Zürich: Atlantis Verlag, S. 357-368. (Hier S. 360 zu Alfred Ernsts Position gegen die sog. Erbprognosen)
Alfred Ernst als Staatsfeind der Nazis in Deutschen Archiven
- D-BAR R 4901-2756,
- Nr. 267: Aktenvermerk betreffend Biologen-Tagung vom 18.3.1941
- Nr. 285: Akte des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 5.9.1941, Dahnke an v. Wettstein betr. Arbeitstagung deutscher Botaniker mit Ausländern
- Nr. 303: Bericht von Fritz v. Wettstein an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 17.11.1941 betr. Arbeitstagung vom 20-24.10.1941 in Berlin
Die Weisung (Nr. 285 Dahnke an v. Wettstein vom 5.9.1941) lautete:
"Von der Einladung der Professoren Dr.A.Ernst, Dr.Frey-Wyssling und Dr.E.Gäumann in Zürich ist abzusehen, da sie als deutschfeindlich bekannt sind. Prof.Ernst ist überdies Marxist, Prof.Gäumann Freimaurer.". Mit der doppelten Qualifikation als deutschfeindlicher Marxist figurierte Ernst auf der Liste der 26 vom Nazistaat geheimdienstlich überprüften Botanikern als Staatsfeind auf dem Rang 1.
- AMPG I. Abt. Rep. 1A, Generalverwaltung der KWG, Nr. 1065 (S. 13): Deutsche Kulturpropaganda im Ausland September 1939.
- AMPG I. Abt. Rep. 1A, Generalverwaltung der KWG, Nr. 1065 (S. 43): Vorschläge von Einzuladenden von Fritz von Wettstein an KWI 17.10.1939. (Alfred Ernst war nicht vorgesehen)
- AMPG I. Abt. Rep. 1A, Generalverwaltung der KWG, Nr. 1065 (S. 23): Vorschläge von Einzuladenden von Eugen Fischer an KWI 2.11.1939. (Otto Schlaginhaufen war nicht vorgesehen)
- AMPG I. Abt. Rep. 1A, Generalverwaltung der KWG Nr. 1065 (S. 151, 171, 227, 229), Reisebericht von Max Hartmann über seinen Aufenthalt in Bern 1940 und die anti-deutsche Einstellung der Schweizer Biologen.
Zu Bernhard C. Schärs Skandalisierung der Ethnologie und der Männerfreundschaft
Schär widmet sich u.a. der Popularisierung seiner Buches, wodurch sich die Grenze zwischen facts und fiction der Biografien von Fritz und Paul Sarasin endgültig auflöst. Zum ganzen Spektakel wurden auch noch Polit-Aktivist/innen auf die Bühne geladen. Dementsprechend gehen auch die Lesarten in alle Richtungen. Es scheint dass, jede/r gerade das findet, was er oder sie sucht und was ihm ideologisch und geschmacklich in den Kram passt. Zwei Beipiele: Das Buch sei "süffig" geschrieben, meint die Theaterkritikerin Iris Meier. Dagmar Walser findet hingegen, den Text der Inszenierung "künstlich verdichtet und so durchtränkt von den aktuellen Diskursen, dass alle aussen vorbleiben, die diese nicht parat haben". Mit Wissenschaft hat das Ganze nichts mehr zu tun.
Fragen zur Glaubhaftigkeit von Geschichtsschreibung
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Wissenschaftliches Fehlverhalten, Unlauterkeit, Geschichtsschwindel
Der Unterschied zwischen dem weiteren Begriff 'Geschichtsklitterung' und einem Geschichtsschwindel im engeren Sinn (engl. scientific misconduct), ergibt sich aus der Absicht des Autors, seine Leserschaft zu täuschen oder willkürlich zu urteilen. Hans-Walter Schmuhl (2005, S. 535) subsummiert unter wissenschaftlichem Betrug das Fabrizieren und Frisieren von Daten, die Manipulation der Methoden, oder das Unterschlagen, Verfälschen oder Erfinden von Ergebnissen. Die Wissenschafts-Geschichte hat gezeigt, dass es eine spezielle Wissenschaftsethik braucht. Methodische Standards alleine genügen nicht. Manchmal werden sie sehr weit (zu weit) gefasst und können ein Abgleiten in unethische Praktiken nicht verhindern. Dazu braucht es weitere Normen, die Willkür und Täuschung, sowie Studien an Unwissenden oder Unwilligen verhindern. Mehrere europäische Länder wie Dänemark, England und Schweden haben inzwischen eigene unabhängige Untersuchungsgremien für schwere misconduct Fälle geschaffen, nachdem sich gezeigt, hatte, dass die Universitäten, dieser Aufgabe zuwenig gut nachgekommen sind (Else 2019).
Sägesser (2014, Rn 50) resümierte die juristische Definition von Täuschung:
"... jedes Verhalten, das darauf ausgerichtet ist, bei einem anderen durch Einwirken auf dessen psychische Vorstellung eine von der Wirklichkeit abweichende Vorstellung hervorzurufen. Erfasst ist damit jedes ausdrückliche oder stillschweigende Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen bzw. Bestärken in einem Irrtum. Besondere Anforderungen an die Art des Einwirkens bestehen keine, so dass sie jedes Verhalten erfassen, dem ein Erklärungswert hinsichtlich Tatsachen zukommt."
(vgl. BGE 80 IV 156).
Willkür wird zunächst als Bruch des Verfassungsprinzips von Treu und Glaube (bona fides) definiert. Im Verwaltungsrecht wurde dazu präzisiert (Kantonales Sozialamt Zürich):
"Willkür bedeutet Entscheiden nach Belieben, ohne Ausrichtung an einem Massstab, an allgemeingültigen Gerechtigkeitsvorstellungen. Ein Willkürakt verletzt elementare Gerechtigkeitserwartungen und entzieht sich jeder vernünftigen Begründung."
Eine plumpe Geschichtsfälschung versucht, ein Mosaik mit grossen unbelegten oder manipulierten Versatzstücken zu fabrizieren. Typische Beispiele für mehr oder weniger erfundene Stories findet man im Journalismus (Claas Relotius) oder in angeblichen Autobiografien ("Binjamin Wilkomirski" alias Bruno Dössecker). Ein akademischer Geschichtsschwindel hingegen kann zwar Fakten vorweisen, sie sind jedoch so herausgepickt worden, dass sie die Hypothesen suggestiv zu bestätigen scheinen. Akademische Täter/innen setzen auf gezielte Auslassungen und nehmen eine besonders feine Stückelung der Mosaiksteinchen vor. An strategisch wichtigen Stellen werden sie vereinzelt eines oder wenige unzutreffende Wörter einfügen, die dem Publikum wie eine Zusammenfassung oder ein Kommentar erscheinen. Historische Fakten, die den Thesen widersprechen, aber nicht verheimlicht werden können, werden kurzerhand in einen unzutreffenden Kontext gestellt, um sie mit ad hoc erfundenen moralischen Sollvorschriften oder mit einem allgemeinen Schmutzwerfen auf die Person zu diskreditieren. Ein akademisches Artefakt ist einem impressionistischen Gemälde vergleichbar, in welchem das Publikum bestimmte Szenen zu erkennen vermeint. Nur beim genauen Hinsehen auf jeden einzelnen Satz und im Abgleich mit der Quellenlage entdeckt man die Ungereimtheiten zwischen den 'Pinselstrichen' und dem Substrat. Für Journalismus, Kunst und Wissenschaft gelten je andere Spielregeln.
Ein aktuell verbreiteter modus operandi von Geschichtsfälschung beruht auf den Mechanismen der Skandalierung, einer Ansammlung rhetorischer und psycholinguistischer Tricks, mit denen faktenwidrig der Eindruck einer 'erwiesenen Geschichte' erweckt wird. Die Techniken des Insinuierens, Auslassens, Aufbauschens, Maskierens, Verzerrens und Diskreditierens zielen darauf ab, eine falsche Darstellung zu fabrizieren, ohne dass sie von den Betroffenen als Ehrverletzung einklagbar wird. Dazu mehr in den Forschungen von Hans Mathias Kepplinger zur Skandalisierung.
Eine raffinierte Geschichtsklitterung entfacht Polemiken, indem sie vergangene Akteure anhand ad hoc erfundener Soll-Vorschriften misst. Um einen gut dokumentierten Lebenssachverhalt, der seinen Thesen widerspricht, zu diskreditieren, entwirft der Autor am Reissbrett eine idiosynkratische "Norm", die verletzt worden sei. Damit wird das fundamentale Prinzip des römischen Rechts "nulla poena sine lege" verletzt. Der erfundene 'Tatbestand' ist dabei jenseits gültiger Normen konzipiert, an denen sich die Damaligen orientierten, wenn sie sich ethisch korrekt verhielten: beispielsweise jenseits der ärztlichen Standesethik, jenseits des allgemeinen Konsens (z.B. der geistigen Landesverteidigung) oder im Widerspruch zu demokratisch erlassenen Gesetzen und Verordnungen. Josef Mooser (1997) zeigte diese Skandalierungstechnik an einem Beispiel auf. Eine weit herum bekannte historische Diskontinuität, die schweizerische Abgrenzung gegen das 3. Reich mit der geistigen Landesverteidigung, wird diskreditiert, indem sie inhaltlich ignoriert oder heruntergespielt wird und stattdessen neu die dazu verwendete Methode kritisiert wird. Mooser schrieb (S. 687): "Gleichsam ins Herz ihrer historischen Tradition stiess die polemische These von Hans Ulrich Jost über den 'helvetischen Totalitarismus': Die 'Anpassung breiter Volksschichten' und von Teilen der Eliten sowie des politischen Systems an den nationalsozialistischen Feind selbst im Streben nach nationaler Unabhängigkeit, weil in der Abwehr Elemente der politischen Kultur des Gegners übernommen wurden. Diese Aussage über die Vertreibung des Teufels mit Belzebub entwertete das Selbstbild einer politischen Generation."
Eine weitere Technik der Geschichtsklitterung besteht darin, reine 'Verflechtungen' und 'Verstrickungen' zu orten und aufzubauschen. Sie beruht darauf, dass Korrelationen und Verbindungen sehr oft nicht ursächlich begründet sind, aber auf die Betrachter prima facie so wirken. So kann jeglicher Kontakt mit inkriminierten Personen/Institutionen als 'Beleg' für eine angebliche historische oder politische Schuld missbraucht werden. Etwa werden Briefe von Deutschen während des 3. Reichs als Quellen für "Verflechtungen" zitiert, unabhängig von deren Inhalt. Damalige Oppositionelle innerhalb des Reichs werden aufgrund unausweichlicher biografischer Momente oder abgepresster Anpassungen als suspekt präsentiert - unter Auslassung ihrer mutigen Taten.
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